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BGH, Urt. v. 11.02.2004 XII ZR 265/02            

 



In seinem vielfach diskutierten Urteil vom 11. Februar 2004 (BGH, Urt. v. 11.02.04 - XII ZR 265/02 - BGHReport 2004, 516 = FamRZ 2004, 601 = FamRB 2004, 105 ff.) stellte der unter anderem für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs Grundsätze für die Wirksamkeit eines notariellen Ehevertrages auf. Die auch von der Vorinstanz genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Februar 2001 (BVerfG, Urt. 06.02.2001 - 1 BvR 12/92 - BVerfGE 103, 89 = FamRZ 2001, 343) und vom 29. März 2001 (BVerfG, Beschl. v. 29.03.2001 - 1 BvR 1766/92 - NJW 2001, 2248) gäben Anlass, die bisherige Rechtsprechung zur Wirksamkeit von Eheverträgen zu überdenken, die grundsätzlich volle Vertragsfreiheit der Ehegatten konstatiere (mit Hinweis auf BGH, Beschl. v. 2.10.1996 - XII ZB 1/ 94 - FamRZ 1997, 156 (157); Beschl. v. 28.11.1990 - XII ZR 16/ 90 - FamRZ 1991, 306), die §§ 134, 138, 242 BGB mit der Folge der Unwirksamkeit des Ehevertrages daher sehr restriktiv und nur besonderen Ausnahmefällen angewendet habe.

Nunmehr sollten folgende Grundsätze gelten, die jedoch stets einer Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens unterliegen würden: Die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn und Versorgungsausgleich unterlägen grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten, denn die §§ 1353, 1356 BGB verbürgten das in Art. 6 GG auch grundrechtlich geschützte Recht der Ehegatten zur eigenverantwortlichen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft. § 1585 c BGB enthalte daher auch keine Einschränkung in Richtung eines unverzichtbaren Mindestgehalts an Rechten. Die Durchführung eines Zugewinnausgleichs stehe gemäß § 1408 Abs. 1 BGB in der Disposition der Ehegatten. Auch die fiktive Bewertung des Bundsverfassungsgerichts (BVerfG, FamRZ 2002, 527 (529)), dass Leistungen, die Ehegatten im gemeinsamen Unterhaltsverband für die eheliche Gemeinschaft erbrächten, unabhängig von ihrer ökonomischen Bewertung gleichgewichtig seien und deshalb beide Ehegatten grundsätzlich Anspruch auf gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten hätten, würden nicht bedeuten, dass der vertragliche Ausschluss des Zugewinnausgleichs nunmehr unzulässig sei, denn § 1408 Abs. 1 BGB gewähre gerade dieses Recht. Gleiches gelte mit Blick auf § 1408 Abs. 2 BGB für den Versorgungsausgleich.

Grenze der grundsätzlichen Disponibilität der Scheidungsfolgen sei jedoch ein Unterlaufen der gesetzlichen Regelungen, was der Fall sei, wenn eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten - bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede - bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint.

Besonderes Abwägungselement sei dabei, wie weit die vertragliche Regelung in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreife, was jedoch perse nicht unzulässig sei.

Man könne eine Rangabstufung dergestalt vornehmen, dass die Bedeutung der einzelnen Scheidungsfolgenregelungen für den Berechtigten in seiner jeweiligen Lage berücksichtigt werde. So sei die Absicherung des laufenden Unterhaltsbedarfs für den Berechtigten in der Regel wichtiger als etwa der Zugewinn- oder der spätere Versorgungsausgleich. Innerhalb der Unterhaltstatbestände sei - nach dem Betreuungsunterhalt (§ 1570 BGB) - dem Krankheitsunterhalt (§ 1572 BGB) und dem Unterhalt wegen Alters (§ 1571 BGB) Vorrang einzuräumen. Ausdrücklich betont wurde, dass auch die §§ 1572, 1571 BGB, auch wenn sie an nichtehebedingte Nachteile anknüpfen würden, als Ausdruck nachehelicher Solidarität zum Kernbereich der gesetzlichen Scheidungsfolgenregelung gehören würden. Nachrangig seien demgegenüber die Unterhaltspflicht wegen Erwerbslosigkeit (§ 1573 BGB), gefolgt vom Krankenvorsorge- und Altersvorsorgeunterhalt (§ 1578 Abs. 2 1. Variante, Abs. 3 BGB). Am ehesten verzichtbar seien Ansprüche auf Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2, § 1575 BGB), da diese Unterhaltspflichten vom Gesetz am schwächsten ausgestaltet und nicht nur der Höhe sondern auch dem Grunde nach zeitlich begrenzbar seien.

Auf derselben Stufe wie der Altersunterhalt rangiere der Versorgungsausgleich, der als vorweggenommener Altersunterhalt einer vertraglichen Disposition nur begrenzt offen stünde. Vereinbarungen über ihn müssten deshalb nach denselben Kriterien geprüft werden wie ein vollständiger oder teilweiser Unterhaltsverzicht, wobei jedoch zu beachten sei, dass er als Teilhabe an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen dem Zugewinnausgleich ähnlich sei, was eine weitergehende Dispositionsbefugnis rechtfertigen könne.

Am ehesten vertraglicher Disposition zugänglich sei schließlich der Zugewinnausgleich. Die Ehe sei nicht notwenig auch eine Vermögensgemeinschaft. Auch wenn der gesetzliche Güterstand eine gleiche Teilhabe der Ehegatten am gemeinsam erwirtschafteten Vermögen vorsehe, hindere dies die Eheleute nicht daran, durch Modifizierung oder Abwahl des Regelgüterstandes ihre interne Vermögensordnung einvernehmlich an die individuellen Verhältnisse ihrer konkret beabsichtigten oder gelebten Eheform anzupassen und dabei auch eigene ökonomische Bewertungen an die Stelle der gesetzlichen Typisierung zu setzen. Schließlich fordere auch das Gebot ehelicher Solidarität nach § 1253 Abs. 1 S. 2 HS. 1 keine wechselseitige Vermögensbeteiligung der Ehegatten, denn konkrete Versorgungsbedürfnisse seien durch das an Bedarfslagen ausgerichtete Unterhaltsrecht abzudecken. Grob unbillige Versorgungsdefizite, die sich aus den für den Scheidungsfall getroffenen Absprachen der Ehegatten ergäben, seien vorrangig im Unterhaltsrecht - weil bedarfsorientiert - und allenfalls hilfsweise durch Korrektur der von den Ehegatten gewählten Vermögensordnung zu kompensieren.

Ob nach alledem eine evident einseitige Lastenverteilung vorliege, habe der Tatrichter unabhängig von der Belehrung des durch den Vertrag belasteten Ehegatten durch einen Notar wie folgt zu prüfen: In einem ersten Schritt sei gemäß § 138 Abs. 1 BGB eine Wirksamkeitskontrolle des Ehevertrages anhand einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses bezogenen Gesamtwürdigung der individuellen Verhältnisse der Ehegatten vorzunehmen, insbesondere also hinsichtlich ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse und ihres geplanten oder bereits verwirklichten Lebenszuschnitts. Sittenwidrigkeit werde dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen würden, ohne dass dieser Nachteil durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten gerechtfertigt wird. Ergebe diese Prüfung, dass der Ehevertrag unwirksam sei, so würden an dessen Stelle die gesetzlichen Regelungen treten. Andernfalls sei in einem zweiten Schritt im Wege der Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) zu prüfen, ob und inwieweit die Berufung auf den Ausschluss gesetzlicher Scheidungsfolgen angesichts der aktuellen Verhältnisse nunmehr mißbräuchlich erscheine und deshalb das Vertrauen des Begünstigten in den Fortbestand des Vertrages nicht mehr schutzwürdig sei. In einem solchen Fall habe der Richter die Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Parteien in ausgewogener Weise Rechnung trägt.


13.02.2004

Nils Müller











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